Den Anschluss Österreichs an Nazideutschland haben Hunderttausende jubelnd begrüßt. Doch die Hunderttausende, die abseits standen und verzweifelt die Fäuste ballten, sah man in den Wochenschauen nicht. Und viele, die gejubelt hatten, waren schon bald nach dem Beginn des Kriegs ernüchtert. Die neuen Herrscher begannen sofort, ihre bekannten Gegner in „Schutzhaft“ zu nehmen, das heißt ohne Gerichtsurteil in Konzentrationslager zu stecken. Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter waren es in erster Linie. Dabei konnten sich die Nationalsozialisten auf die Akten der bisherigen österreichischen Regierung stützen. Doch das ganze Volk musste eingeschüchtert und kontrolliert werden. Eine Diktatur kann sich nur halten, wenn ihre Gegner nicht wissen, wieviele sie sind. Waffengewalt allein genügt nicht. Die Menschen müssen daran gehindert werden, ihre Meinungen und Erfahrungen miteinander auszutauschen, Beziehungen zu knüpfen, sich zu organisieren. Die leiseste Kritik wurde bestraft. „Am 4. 6. 1941 wurde die Krankenpflegerin Annemarie Strauch, am 22. 6. 1897 in Wien geboren, katholisch., ledig, festgenommen, weil sie den Führer, staatliche Einrichtungen und die deutsche Propaganda herabwürdigte und beleidigte. Unter anderem sagte sie auch, dass sie kein Radio höre, weil sie sich nicht anlügen lassen wolle“, heißt es zum Beispiel in den Gestapoakten. In den sieben Jahren seiner Herrschaft hat das nationalsozialistische Regime 2700 österreichische Widerstandskämpfer und Kämpferinnen zum Tode verurteilen und hinrichten lassen. Doch eine noch viel größere Zahl an politischen Gegnern, mehr als 32.500, wurden in den Kellern der Gestapo zu Tode gefoltert oder in den Konzentrationslagern zu Tode geschunden. Nicht eingerechnet sind hier die 65.000 österreichischen Juden und Jüdinnen, die im Rahmen der so genannten „Endlösung der Judenfrage“ ermordet wurden.
Die Formen des Widerstands waren vielfältig. Hunderttausende hörten, obwohl es verboten war, am Radio die „Feindsender“, vor allem die deutschsprachigen Sendungen der BBC und von Radio Moskau. Das allein kann man noch nicht Widerstand nennen. Aber viele gaben die Informationen über den wirklichen Verlauf des Krieges an Nachbarn oder Arbeitskollegen und -kolleginnen weiter und riskierten dabei, verraten zu werden. Widerstand war es auch, bei der Volksabstimmung, die Hitler nach dem Einmarsch durchführen ließ, mit dem Stimmzettel in die Wahlzelle zu gehen. Denn wer mit einem freudigen Ja für den Anschluss stimmte, der brauchte sich dafür doch nicht zu verstecken, hieß es. Widerstand war es, wenn die Schaffnerin trotz Verbot Juden mit dem Judenstern in der Straßenbahn mitfahren ließ. Aus Gestapo-Akten erfahren wir, dass der Pfarrer Dr. Karl Frey aus Gross Jedlersdorf 200 Stück der katholischen Flugschrift „Wann kommst Du, o Heiland?“ herstellen ließ mit den Zeilen: „. . . wir tragen Sklavenketten und keiner kann uns retten, drum komme Du und führe uns aus des Grabes Nacht!“ Die Gestapo verstand die politische Botschaft und ließ den Pfarrer verhaften.
Aus einem Tagesbericht der Gestapo: Der Sanitätsgefreite Josef Wyhnal hat Angehörigen der Wehrmacht und Schutzpolizei Mittel verschafft, um diese für den Kriegseinsatz untauglich zu machen. Revieroberwachtmeister der Schutzpolizei Andreas Hofer hat sich zu diesem Zwecke von Wyhnal zwei Einspritzungen geben lassen und zusammen mit dem Forstingenieur Walter Caldonazzi fiebererzeugende Mittel an Soldaten, die vor ihrer militärischen Untersuchung standen, weitergegeben.
Am 29.12.1939 wurde Anna Voll in Wien in die zuständige Luftschutzortstruppe bestellt, um an einem Luftschutzkursus als Laienhelferin teilzunehmen. Eine solche Teilnahme lehnte die Voll ab, da sie als Bibelforscherin keine Kriegsdienste leisten könne [...] Urteil: 4 Jahre Zuchthaus.
Aus dem Urteil des Reichskriegsgerichtes gegen den Schützen Franz Zeiner: Er schrieb am 20. 4. an das Wehrmeldearnt Wien X, daß er als wahrer Christ, d. h. als Christi Nachfolger, keine Waffen tragen könne und dürfe. Gott verbíete zu töten. [...]Derart hartnäckige Wehrdienstverweigerungen sind schon wegen der ihnen innewohnenden gefährlichen Werbekraft besonders geeignet, den Wehrwillen anderer zu zersetzen. Deshalb muß auf Todesstrafe erkannt werden.
Die Gestapo Wien berichtete 1938 an den Chef der Sicherheitspolizei Heydrich, dass in den letzten sechs Wochen in lebenswichtigen Betrieben die Krankmeldungen eine unnormale Höhe erreichten. „So z.B. ist der Krankheitsstand bei der Wienerberger Ziegeleiindustrie, die zur Zeit ausschließlich für die Wehrmacht arbeitet, 25% der Belegschaft, während er im Vorjahre nur 3% ausmachte.“
Es waren vor allem Kommunisten und Revolutionäre Sozialisten, die versuchten, schlagkräftige Widerstandsorganisationen aufzubauen. Nicht mehr mit dem Ziel, Hitler durch eine sozialistische Revolution zu stürzen, sondern mit der Absicht, ein demokratisches selbständiges Österreich wiederzuerrichten. Um die Gefahr von Verrat möglichst klein zu halten, bildeten sie kleine Zellen von fünf bis zehn Personen, die einander oft nur mit Decknamen kannten und von denen immer nur eine Person Kontakt zu anderen Zellen hatte. Diese Gruppen verbreiteten Informations- und Propagandamaterial in Form von Flugblättern und getarnten Broschüren, sie sammelten Geld, um politische Gefangene und deren Familien zu unterstützen. Mein Großonkel Otto Sokopp stellte als Gemeindebediensteter gefälschte Lebensmittelkarten aus, mit denen versteckte politische Flüchtlinge und Juden versorgt wurden. Er wurde gefasst und entging einem Todesurteil nur dadurch, dass er den Richter überzeugen konnte, er hätte nicht aus politischen Gründen, sondern aus niedrigem Gewinnstreben gehandelt.
Der junge Kommunist Otto Ernst Andreasch gründete mit Otto Horn die Wiener Mischlingsliga, eine Gruppe junger Männer und Frauen, die als jüdische Mischlinge nach den Nürnberger Gesetzen verfolgt wurden, aber wenigstens vorläufig von Deportation verschont blieben. Otto Horn erzählt: „Vor allem Mädchen aus unserer Organisation waren in der so genannten Leergutsammelstelle eingesetzt. Die Leergutsammelstelle war jene Stelle, wo alle verbotenen Bücher, die konfisziert worden waren, zusammengetragen wurden. Die Mädchen haben die besten politischen Bücher, die wir für unseren Kampf brauchen konnten, aussortiert und haben sie uns gebracht, und wir ließen sie in unserer illegalen Organisation zirkulieren.“ Horn berichtet von einer Sabotageaktion bei der Firma Kraus: „Das war eine Firma, die Kolbenbolzen für Flugzeugmotoren erzeugte. Ein Mitglied von uns war dort Techniker und hat mit einem tschechischen Techniker zusammengearbeitet. Sie haben alle vorhandenen Messlehren, die dazu benützt wurden, um die Kolbenbolzen nachzumessen, in einer Nacht um 1/10 mm ausgefeilt. Man brauchte 14 Tage, um draufzukommen, dass man mit diesen Kolbenbolzen nie einen Motor machen kann, weil alle falsch waren. - Einmal, das war eine ganz einfache Geschichte, da haben wir von einer Brücke, die über die Badner Bahn läuft, eine Kupferlitze mit einem starken Stein beschwert und über die Oberleitung der Bahn geworfen. Es entstand ein Kurzschluss. Das war in der Früh, um 1/2 6, als die Züge mit den Arbeitern in die Rüstungsbetriebe fuhren. Diese Aktion war nicht nur eine Störung des Verkehrs, sondern vor allem auch ein Zeichen für die Arbeiter, dass etwas gegen das Regime unternommen wird. Die propagandistische Seite war noch wichtiger.“ Auch als Otto Horn verhaftet und verurteilt wurde, gelang es ihm, weiter gegen die Nazis zu arbeiten. Er meldete sich freiwillig zu einem Sprengkommando, das eingesetzt wurde, Bomben, die nicht explodiert waren, zu entschärfen oder kontrolliert zu sprengen. Als ein Blindgänger die Gleise der Ostbahn blockierte, konnten die Häftlinge die Entschärfung verzögern und so den Transport von 400 Panzern an die Front so lange aufhalten, bis die englische Luftwaffe durch einen Agenten über Funk verständigt worden war und die Panzer bombardierte.
Sogar in den Konzentrationslagern war Widerstand möglich. Im Frauen-KZ Ravensbrück wurden Toni Lehr und zwei andere österreichische Kommunistinnen, die von der SS zur Hinrichtung vorgesehen waren, so lange versteckt werden, bis sie mit falscher Identität mit einem Rotkreuz-Transport das Lager verlassen konnten. Im Vernichtungslager Auschwitz gelang es Insassen, mit einer ins Lager geschmuggelten Kamera Beweisfotos zu machen, die in die USA geschafft werden konnten.
Die größte Wirksamkeit hatte der militärische Widerstand. Kärntner Slowenen und Sloweninnen schlossen sich den jugoslawischen Partisanen an. Sie griffen kleinere Stützpunkte und Patrouillen der Besatzer an, legten Bahnstrecken und Telefonleitungen lahm und zerstörten kriegswichtige Betriebe. Janez Wutte, genannt Luc, desertierte 1944,als er Heimaturlaub hatte, von der deutschen Armee und schloss sich mit einem Freund den Partisanen an. Um die Familie nicht zu gefährden, musste das so inszeniert werden, dass es aussah, als wären sie zwangsweise rekrutiert worden: „Wir gingen zu einem Nazi in den Stall, tranken ein bisschen Schnaps und warteten. Plötzlich stehen die Partisanen im Stall, "Hände hoch!", klar, wir strecken die Hände hoch. "Urlauber?" - "Ja." - "Sie sind auch ein Urlauber?" - "Ja." - "Sie auch, was sind Sie?" - "Ich bin der Bauer, mir gehört der Hof." - "Werden Sie mit uns gehen?" - "Zum Teufel, ich kann ja nicht, ich kann ja nicht", und er wehrt sich. "No ja, wenn Sie nicht gehen, ein Paar Schuhe werden Sie hergeben, einer ist ohne Schuhe." - "Zum Teufel, ich habe ja so kleine Füße." Der Bauer war ein kleiner Mensch. "Wir haben auch Leute mit kleinen Füßen." Und dann ging einer mit ihm, und wir nahmen noch eine kleine Jause mit, und dann waren wir weg.“