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Die Februarkämpfe 1934
und wie es zu ihnen kam (4)

Petition statt Generalstreik

Am 5. März 1933, nach Dollfuß‘ Erklärung, dass das Parlament sich selbst ausgeschaltet hätte, beriefen die sozialdemokratischen Abgeordneten eine Klubsitzung ein. Die Abgeordneten Koloman Wallisch und Wilhelm Ellenbogen forderten, mit einem Generalstreik zu antworten, doch sie setzten sich nicht durch. Die Parteiführung setzte stattdessen auf Verhandlungen mit der Regierung. Eine große Demonstration vor dem Parlament blieb ergebnislos. Im September überreichten sie dem Bundespräsidenten eine Petition mit 1,2 Millionen Unterschriften, er möge die Regierung entlassen und den Nationalrat einberufen. Im Oktober bot Karl Renner die Anerkennung der berufsständischen Verfassung an, forderte dafür aber eine Einberufung des Nationalrats und die Wiederherstellung der Versammlungs- und Pressefreiheit. Die Regierung nützte die Verhandlungen nur, um für ihre autoritären Maßnahmen Zeit zu gewinnen.

Der letzte Parteitag: Vier Punkte für den Widerstand

Mitte Oktober hielt die Sozialdemokratische Partei ihren Parteitag ab und legte fest, unter welchen Umständen die Arbeiterschaft gewaltsamen Widerstand leisten sollte: Wenn die Rechte Wiens angetastet würden und der Bürgermeister abgesetzt und durch einen Regierungskommissär ersetzt würde; wenn die Freien Gewerkschaften verboten würden; wenn die Partei aufgelöst würde; oder wenn die Verfassung geändert würde. Dieser Beschluss diente eher dazu, die Linken in der Partei bei der Stange zu halten, als dazu, wirklich den Aufstand vorzubereiten. Denn wie Otto Bauer später eingestand: „Wir sind dem Kampf ausgewichen, weil wir dem Lande die Katastrophe eines blutigen Bürgerkrieges ersparen wollten. Der Bürgerkrieg ist elf Monate später trotzdem ausgebrochen, aber unter für uns wesentlich ungünstigeren Bedingungen.“

Bruno Kreisky: „Ich war auch dafür, dass man im Jahr 1933 losschlägt, weil wir damals noch so stark waren, dass die Regierung zum Einlenken gezwungen worden wäre. Man hätte vielleicht noch eine Koalitionsregierung und eine Rückkehr zur Demokratie zustandebringen können. Die Arbeiterklasse war noch nicht zersetzt und hat auch noch die Kraft gehabt, einen Generalstreik durchzuführen. […] Damals wäre Dollfuß wahrscheinlich gestürzt worden.“

Der Schutzbund wird enthauptet

Am 24. Jänner 1934 wurde auf Anweisung von Major Fey, Heimwehrführer, Vizekanzler und Bundesminister für das Sicherheitswesen, mit systematischen Hausdurchsuchungen in sozialdemokratischen Parteiheimen und in Privatwohungen begonnen. Am 4. Februar wurden Major Eifler und Hauptmann Löw verhaftet. Bis zum 10. Februar waren schon alle Bezirks- und Kreisführer des Wiener Schutzbunds in Haft. Der Schutzbund hatte keine Offiziere mehr.

Fey geht an die Arbeit

Am 11. Februar 1934 erklärte Fey bei einer Kundgebung: „Wir werden morgen an die Arbeit gehen und ganze Arbeit machen“. Am 12. Februar ließ er die Polizei im Linzer Arbeiterheim, dem „Hotel Schiff“, nach Waffen suchen. Richard Bernaschek, der Kommandant des Linzer Schutzbunds, hatte schon vorher der Parteileitung angekündigt, dass er gegen eine Waffensuche Widerstand leisten würde. „Wenn die Wiener Arbeiterschaft uns im Stich lässt, Schmach und Schande über sie.“ Und die Regierung wusste auch, dass er zu den Hardlinern gehörte. Sie ging also wohl bewusst so vor, um eine bewaffnete Auseinandersetzung zu provozieren. Bereits um 11:45 Uhr mussten die Verteidiger des „Hotel Schiff“ aufgeben. Von Linz sprang der Widerstand auf Steyr, das Kohlerevier im Hausruck und auf die Steiermark über.


Bundesheer vor dem "Hotel Schiff" am 12. Februar 1934

Der Parteivorstand beschließt den Generalstreik – zu spät

Bernaschek ließ die Nachricht vom Beginn der Kämpfe um 7:00 Uhr früh per Telefon nach Wien durchgeben. Am Vormittag beschloss der Parteivorstand, der sich in einer Privatwohnung traf, den Generalstreik auszurufen und den Schutzbund zu mobilisieren. Otto Bauer sollte die politische, Julius Deutsch die militärische Leitung des Kampfes übernehmen. Doch in ihrem Hauptquartier im Ahornhof im 10. Bezirk waren sie von den kämpfenden Schutzbündlern isoliert, da nur wenige Melder zu ihnen durchkamen. Die Kämpfe in Wien liefen völlig unkoordiniert ab.

Die Wiener E-Werke stellten um 11:45 Uhr den Strom ab, das Zeichen zum Generalstreik. Doch elf Monate des Zurückweichens hatten einen großen Teil der Arbeiterschaft entmutigt und demoralisiert. Nicht einmal die Eisenbahner, der am besten organisierte Teil der Arbeiterschaft, befolgten den Streikaufruf und so konnten Truppen aus den Bundesländern per Bahn nach Wien geschafft werden. Damit war die Niederlage des Schutzbunds von vornherein besiegelt.

Ein Verräter

Ein schwerer Schlag war auch der Verrat des Schutzbund-Kreisleiters Eduard Korbel. Er war verantwortlich für den 6., 7., 13., 14., 15. und 16. Bezirk und verriet die ihm unterstellten Kommandanten und die Waffenlager an die Behörden. Nur die Ottakringer Schutzbündler nahmen dennoch an den Kämpfen teil und verteidigten das Ottakringer Arbeiterheim.


Der Kampf beginnt in Simmering

Oscar Pollak, der Chefredakteuer der Arbeiterzeitung, schrieb: „Mittags kam es bereits in Wien zum ersten bewaffneten Zusammenstoß: Der Simmeringer Schutzbund, der von der Polizei ausgehoben werden sollte, schlug zurück [...], stieß auf die Landstraße vor und besetzte St. Marx.

Nach 1:00 Uhr griff die Polizei die Wohnhausanlage Sandleiten in Ottakring an, gegen 2:00 Uhr den Reumann-Hof in Margareten. Von dort griffen die Kämpfe auf Meidling über. In den ersten Abendstunden stand Wien im Kampf. [...] Polizei und Militär griffen den Quellen-Hof und Laaerberg in Favoriten an und wurden zurückgeschlagen. Der Favoritner Schutzbund stieß zum Gürtel vor, um Simmering und Margareten Hilfe zu bringen. In Hietzing kam es auf dem Goldmarkplatz [...], in der Penzinger Straße und auf dem Schönbrunner Vorplatz zu Zusammenstößen. In Ottakring tobte der Kampf um die Wohnhausanlage Sandleiten und das Arbeiterheim, in Döbling um den Karl-Marx-Hof.

Haubitzen und Granatwerfer nahmen das Ottakringer Arbeiterheim und den Karl-Marx-Hof unter Feuer...“

Von den 80.000 Mann, über die der Schutzbund noch 1928 verfügt hatte, kämpften in ganz Österreich zwischen 10.000 und 20.000. Ihnen stand eine Übermacht von 60.000 Mann aus Gendarmerie und Polizei, Bundesheer und Heimwehren gegenüber.

Kanonen gegen Wohnhäuser

Um 14:00 Uhr verhängte die Regierung das Standrecht und erklärte die Sozialdemokratische Partei für aufgelöst. Zur selben Zeit gab Bundeskanzler Dollfuß die Zustimmung zum Einsatz von Feldgeschützen des Bundesheers. Die schwersten Waffen des Schutzbunds waren Maschinengewehre. Die Militärs argumentierten, dass Infanterieangriffe gegen die stark verteidigten Wiener Gemeindebauten und Arbeiterheime ungleich blutiger werden würden.

Bürgermeister Seitz wird verhaftet

Um 16:45 Uhr besetzten Einheiten des Bundesheers unterstützt vom Freiwiligen Schutzkorps das Rathaus und verhafteten Bürgermeister Seitz und die Stadträte Danneberg, Breitner, Speiser, Honay und Weber. Die Regierung setzte Richard Schmitz als Bürgermeister ein.

Außer in Wien wurde in den Industriestädten Steyr, St. Pölten, Weiz, Eggenberg bei Graz, Kapfenberg, Bruck an der Mur, Ebensee und Wörgl gekämpft. Zentren des Aufstands in Wien waren Arbeiterheime und Gemeindebauten, der Karl-Marx-Hof, Goethehof, Sandleitenhof, Reumannhof und Schlingerhof. Die Kämpfe, die am Montag, dem 12. Februar begonnen hatten, endeten am Donnerstag, dem 15. Februar. Am längsten konnten sich die Kämpfer im Karl-Marx-Hof und im Goethehof halten.

Tod durch den Strang

Schon am 14. Februar nahmen die Standgerichte ihre Tätigkeit auf. Sie verurteilten 21 Schutzbundführer zum Tod. Neun Urteile wurden vollstreckt, die anderen Verurteilten zu hohen Kerkerstrafen begnadigt. Dabei ging es vor allem um die abschreckende Wirkung. Die Aufständischen sollten möglichst schnell demoralisiert werden. Karl Münichreiter, ein einfacher Gruppenführer, bei den Kämpfen schwer verletzt, wurde schon am Abend des 14. Februars hingerichtet. Justizminister Kurt Schuschnigg lehnte es ab, das Gnadengesuch an den Bundespräsidenten weiterzuleiten, weil „ein abschreckendes Beispiel unbedingt notwendig“ sei. In der selben Nacht, am 15. Februar um 1:00 Uhr morgens, wurde der Kommandant der Feuerwache Floridsdorf, Ing. Georg Weissel gehängt. Am 16. Februar wurde das Todesurteil gegen den städtischen Arbeiter Emil Svoboda, Schutzbundgruppenführer, vollstreckt. Mit der Aufhebung des Standrechts wartete man bis zum 19. Februar, bis in Leoben der Schutzbundkommandant und Nationalratsabgeordnete Koloman Wallisch verurteilt und hingerichtet war.

Die Opferbilanz: 118 Tote und 486 Verletzte auf Regierungsseite, etwa 270 Tote und mehr als 300 Verletzte auf Seite des Schutzbunds. 9.700 Menschen werden verhaftet, an die 6.000 Gerichtsverfahren eingeleitet.


Koloman Wallisch nach seiner Gefangennahme

Die Demokratie ist beseitigt

Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, das Recht, Vereinigungen zu bilden, all das war abgeschafft. Politische Streiks und Streiks in lebenswichtigen und staatlichen Betrieben waren verboten. Alle Parteien außer der Vaterländischen Front waren verboten. Wer seine Stelle im Staatsdienst behalten wollte, musste in die Vaterländische Front eintreten. Politische GegnerInnen wurden in Anhaltelager gesperrt. Nach der Sozialdemokratischen Partei und den freien Gewerkschaften wurden auch hunderte kulturelle, soziale und wirtschaftliche Nebenorganisationen der sozialdemokratischen Bewegung aufgelöst. Aus den christlichen und den Heimwehrgewerkschaften wurde eine Einheitsgewerkschaft gebildet. Deren Funktionäre wurden aber nicht gewählt, sondern vom Sozialminister bestimmt. Die katholische Kirche erhielt bedeutende Privilegien und konnte bestimmenden Einfluss auf das Erziehungs- und Kulturwesen nehmen. Religionsunterricht wurde wieder verpflichtend. Lehrerinnen durften nicht heiraten oder in „wilder Ehe“ leben. Wer aus der Kirche austrat, musste mit polizeilichen Ermittlungen rechnen, wer eine höhere Schule besuchte, musste sich zu einer Religion bekennen. Staatliche Zensur sorgte dafür, dass in der Kunst die modernen Richtungen an den Rand gedrängt wurden, gefördert wurden „Heimatdichter und -dichterinnen“ wie Paula Grogger oder Karl Heinrich Waggerl.


Der Galgen im Kreisgericht Leoben

Der Kampf geht weiter

Dem Ständestaat gelang es trotz allem nicht, die Arbeiter und Arbeiterinnen für sich zu gewinnen und den Klassenkampf zu beenden. Denn am Elend der Arbeitenden änderte sich nichts. Auch ein paar Prestigeprojekte zur Arbeitsbeschaffung wie die Wiener Höhenstraße oder die Großglockner-Hochalpenstraße änderten nichts an der Massenarbeitslosigkeit. Darum arbeiteten im Untergrund die Freien Gewerkschaften weiter. Ihr Vermögen war zwar der Einheitsgewerkschaft zugesprochen worden, doch einen Teil des Geldes hatten sie ins Ausland retten können. Als 1936 in den Betrieben Vertrauensleute der Belegschaft gewählt werden durften, errangen nicht wenige illegale freie GewerkschafterInnen diese Positionen.

So manche enttäuschte Sozialdemokraten schlossen sich der illegalen Kommunistischen Partei an.

Im Untergrund formierten sich auch die Revolutionären Sozialisten als Nachfolger der SDAP. 1936 versuchte die Regierung, im großen Sozialistenprozess diese Organisation zu zerschlagen. Unter anderem standen auch Bruno Kreisky und der spätere Bürgermeister von Wien und Bundespräsident Franz Jonas wegen Hochverrats vor Gericht. Marie Emhart, später Abgeordnete zum Nationarat, war eine der beiden Hauptangeklagten: „Ich stamme aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie und habe alle Not und Entbehrung mitgemacht, die man mitmachen muss, wenn man so tief unten zur Welt kommt wie ich.“


Juli 1934: Illegales Treffen der Revolutionären Sozialisten auf der Predigtstuhlwiese bei Liesing. Rosa Jochmann hält eine Rede.

In seiner Verteidigungsrede sagte der junge Bruno Kreisky: „Es ist auch möglich, dass die Regierung in einem ernsten Moment die breiten Massen des Landes zur Verteidigung der Grenzen aufrufen muss. Aber nur ein demokratisches Österreich wird dieses Volksaufgebot zustande bringen. Nur freie Bürger werden gegen Knebelung kämpfen.“

Am 12. März 1938 marschierten Hitlers Truppen in Österreich ein.

Zum Guide "Februarkämpfe 1934"

Zum kombinierten Guide "Februar 1934 Wien" und "Das Rote Wien"


Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte
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Martin Auer
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