Martin Ladstätter: Warum die Wiener Linien den 13A ausgewählt haben, war auch klar. Das haben sie uns formuliert: Der 13A ist die meist benutzte Linie gewesen. Der Niederflurbus hat eine Rampe an der Tür 2, die vom Fahrer manuell rausgeklappt werden muss. Und die Wiener Linien haben gesagt, sie wollen wissen, ob das ihr Intervall zerstören würde oder nicht, und das testet man sinnvoller Weise an der Linie, wo der meiste Bedarf ist, nämlich vom Intervall und vom Druck des nachfolgenden Busses.
Protestwanderweg: Das heißt, der Fahrer muss aussteigen, nach hinten gehen und das ausklappen.
Martin Ladstätter: Genau. Warum ist das so: Es gibt auch elektrische Lösungen, die erstens deutlich teurer sind und zweitens – und das war unsere Erfahrung aus dem Ausland – auch anfälliger. Eine Klapprampe kann de facto nicht kaputt werden. Und die Tests haben ergeben: Das funktioniert gut.
Das nächste Problem, das aufgetreten ist: Die Busfahrer waren darüber nicht glücklich. Es war so a bissel wienerisch: „Des hat's bis jetzt a net braucht, da könnt' ja jeder kommen!“
Das eskalierte so weit, dass die Geschäftsführung der Wiener Linien, die zu der Zeit dann schon auf unserer Seite war, veranlasst hat, dass es einen Dienstauftrag gibt: Die Fahrer müssen diese Rampe benutzen, wenn sie gebraucht wird. Es hat ein paar Jahre gebraucht, bis das im Bewusstsein aller Fahrer war, und das funktioniert jetzt recht gut.
Protestwanderweg: Das heißt, mit den Bussen können Sie jetzt zufrieden sein.
Martin Ladstätter: Alle Busse sind zugänglich. Wir hatten ein paar Jahre, bis nämlich der letzte Bus aussortiert worden ist, das war, glaube ich 2007.
Protestwanderweg: Das heißt von 1996 bis 2007 sind doch 11 Jahre vergangen …
Martin Ladstätter: Von 98!
Protestwanderweg: Also 9 Jahre …
Martin Ladstätter: … bis kein Hochflurbus mehr in Wien verkehrt ist. In dieser Übergangsphase gab's natürlich ein Problem für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer: Wann kommt der nächste Bus? Und in der Zeit ist sehr viel über Information gelaufen. Erstens einmal die Anzeigen. Die Möglichkeiten über Internet wurden entwickelt. In der Anfangsphase auch noch: Auf welchen Linien verkehren überhaupt solche Busse? Die wurden natürlich den einzelnen Garagen zugeteilt. Das macht ja keinen Sinn, wenn man auf einer Linie 13 Hochflurbusse hat und einen Niederflurbus, das nützt niemandem. Also man hat dann auch versucht, dieses System langsam aufzubauen und, wie gesagt, 2007 konnten wir dann – ich sag's ganz offen – feiern, dass endlich kein Hochflurbus mehr fährt. Bis das bei den Straßenbahnen so weit sein wird, das wird 2026 so weit sein, nach jetziger Planung. Und Wien hat einen Riesen-, Riesen-Straßenbahnfuhrpark, der sehr alt ist eigentlich.
Protestwanderweg: Jetzt haben Sie gesagt, bei den U-Bahnen gibt's auch Probleme, oder gab es Probleme.
Martin Ladstätter: Bei den U-Bahnen gab's die Probleme, dass die Stationen unzugänglich waren. Alle nur über Rolltreppen und Stiegen erreichbar, mit der Ausnahme von ganz wenigen Stationen am Anfang, die zufällig einen Lift gehabt haben. Das Bewusstsein war: Dieses Verkehrsmittel ist für Personen, die gehen können. Aus Sicherheitsgründen. Die könnten die U-Bahn ja gar nicht verlassen, wenn's brennt. Wenn man sich aber heute anschaut, wer U-Bahn fährt, ist es einfach die gesamte Bevölkerung. Mütter und Väter mit Kinderwagen, sehr viele ältere Menschen, auch Gott sei Dank sehr viele behinderte Menschen können sie jetzt benutzen. Damals war das ganz anders. Die erste Phase war, zu erstreiten mit ihnen: Wir brauchen zugängliche Stationen. Das heißt, ganz konkret: Aufzüge! Es gab dann ein Zehn-Jahres-Nachrüstprogramm mit Aufzügen, wo viel, viel Geld hineingeflossen ist, aber nicht, weil man die U-Bahn für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer zugänglich machen will, sondern weil man die U-Bahn für alle zugänglich machen will, das war nämlich der Hintergrund. Das war eine sehr gute Entscheidung und da war Wien deutlich besser als zum Beispiel Berlin, die damit noch immer kämpfen. Aber in Wien sind alle Stationen zugänglich.
Protestwanderweg: Jetzt gibt's ja nicht nur Rollstuhlfahrer, es gibt ja auch Sehbehinderte, Hörbehinderte, wie tun sich die im Verkehr?
Martin Ladstätter: Unterschiedlich. Für blinde Menschen wurde in Wien relativ schnell begonnen, Blindenleitliniensysteme in der U-Bahn zu installieren. Da waren wir viele Jahre Vorreiter, das hat gut funktioniert. Ein anderes Problem, das lange ignoriert worden ist, sind optische Hinweise, zum Beispiel, wann Türen schließen. Da haben sich die Wiener Linien lange dagegen gewehrt, weil sie gesagt haben: „Wenn wir das einführen, hüpfen die Leute erst dann rein, wenn's wirklich anfängt zu blinken“. Sie haben erkannt, dass das ein Unsinn ist, und es ist Ihnen wahrscheinlich aufgefallen, dass sie in den letzten Jahren alle Silberpfeile, also die alten U-Bahnen, sogar mit optischen Systemen nachrüsten, damit man weiß, wann's gefährlich wird. Diese Dinge sind einfach wichtig. Information ist im Bereich Mobilität überhaupt ganz wichtig. Es nützt mir Barrierefreiheit nichts, wenn ich nicht weiß, ob sie vorhanden ist. Ein System, das in den letzten Jahren aufgekommen ist, und worüber die Wiener Linien auch sehr stolz sind – obwohl sie jahrelang dagegen waren – ist: Wann ist ein Aufzug kaputt? Wenn ich weiß, dass alle Stationen zugänglich sind, ist das eine gute Information. Aber das interessiert mich eigentlich nicht. Ich will wissen: Die Station, wo ich jetzt hinfahre, funktioniert der Aufzug? Und zwar jetzt, und nicht grundsätzlich. Und die Wiener Linien haben viele Jahre argumentiert: „Sie können davon ausgehen, dass die Aufzüge funktionieren, weil wir warten sie sehr gut“. Und von den 270 Aufzügen kann's immer sein, dass drei, vier kaputt sind. Da haben wir gesagt: „Ja, das ist toll.“ Verglichen mit anderen Städten werden Aufzüge in Wien sehr schnell repariert. Nur wenn ich genau vor so einem dann stehe, hilft mir das nichts. Und jetzt gibt's ein System, dass man online nachschauen kann, Ist-Stand: Geht der Aufzug, wo ich hinfahre und wo ich aussteigen muss, ja oder nein? Und die Politik hat den Wiener Linien dann den Auftrag gegeben: Ihr macht das, ihr habt ja die Daten, und – das war der schwierigere Schritt – ihr gebt sie auch her! Das ist kein Zeichen der Schwäche, zu sagen: „Der Aufzug ist kaputt“, sondern das ist ein Service! Bitte nicht benutzen, dieser Aufzug ist kaputt! Alle anderen geh'n, aber dieser ist kaputt. Jetzt kann man auf der Seite der Wiener Linien und auf jeder Anzahl von Apps sehen, welcher Aufzug in dieser Sekunde kaputt ist und welcher nicht. Und das ist sehr wichtig.
Protestwanderweg: Und müssen Sie jetzt eigentlich immer, wenn jetzt irgend was Neues geplant wird, sozusagen von außen „hineinprotestieren“ und „hineinfordern“, oder ist man vielleicht inzwischen schon so weit, dass man von vornherein Experten hinzuzieht?
Martin Ladstätter: Da gibt's ein Auf und Ab in den letzten 20 Jahren, sag ich einmal. Eine Zeitlang hat es sehr gut funktioniert. Bei der neuesten Ausschreibung bezüglich der Straßenbahn hat's wieder überhaupt nicht funktioniert. Sie haben das wahrscheinlich den Medien entnommen: Die Wiener Linien haben eine Straßenbahn ausgeschrieben, die sie nicht vorher mit uns besprochen haben, und da wird jetzt gerade versucht, die ganzen Problemchen wieder aufzuarbeiten. Aber ich glaube, sie haben für die neue U-Bahn-Bestellung, die ja jetzt auch in den nächsten Monaten kommen wird, daraus gelernt, und es gab die Zusage, dass sie uns da wieder einmal vorher einbinden. Also das ist nichts, was immer funktioniert, das ist wie beim Schwimmen gegen den Strom: In dem Moment, wo man einmal aufhört zu schwimmen, wird man abgetrieben.
Protestwanderweg: Politisch ist das auch nicht institutionalisiert, dass man sagt: In der Verkehrsplanung, da müssen einfach Behinderte von Anfang an mit einbezogen werden?
Martin Ladstätter: Ich würde sagen, die Politik geht davon aus, dass das so ist.
Protestwanderweg: Na ja, aber da müssen Sie ja auch politische Vertreter in den Vertretungen haben, im Gemeinderat, in den Bezirksräten und so weiter, die ja schließlich dann diese Dinge letztendlich beschließen oder zumindest kontrollieren.
Martin Ladstätter: Genau. Die auch was tun! Das ist sehr unterschiedlich. Die BehindertensprecherInnen der politischen Parteien in Wien im Laufe der Jahre sind manchmal mehr und manchmal weniger qualifiziert, manchmal mehr und manchmal weniger interessiert. Und das ist auch unabhängig von der Partei. Auch da gibt's ganz große Bandbreiten. Aber ich glaube, damit kämpft jede Bewegung.
Protestwanderweg: Das heißt, abschließend: Was würden Sie sagen? Der Kampf geht weiter?
Martin Ladstätter: Man muss dauernd am Thema dranbleiben, man muss immer schauen, dass das Servicelevel höher gehalten wird. Das Schlimmste, was uns in dem Bereich passieren kann, ist der Schlendrian und die Selbstgenügsamkeit: Mir san eh so guat! Das stimmt so nicht. Wir sind in manchen Bereichen sehr gut, in manchen Bereichen gut, und in manchen Bereichen schauen wir einfach nicht genau hin. Und genau der dritte Bereich ist der, wo wir genau aufpassen müssen!