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Nachwort

Meine Großeltern Robert und Ernestine Auer, beide jüdischer Abstammung, wurden am 26. September 1942 vom Konzentrationslager Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka gebracht und dort ermordet. Meinen Vater hatten sie 1938 mit einem Kindertransport nach England geschickt um ihn zu retten. Damals war er 16 Jahre alt. 1946 kehrte mein Vater nach Österreich zurück. Nicht mit dem Wunsch nach Vergeltung, nach Rache. Auch nicht um Wiedergutmachung zu suchen für etwas, was nicht wieder gut gemacht werden kann. Sondern weil er sich verpflichtet fühlte, hier zum Aufbau einer Gesellschaft beizutragen, die nie wieder Krieg und Faschismus hervorbringen sollte. Wie eine solche Gesellschaft aussehen soll, welcher Weg dahin führen könnte, darüber habe ich in meiner Jugend mit meinem Vater oft Meinungsverschiedenheiten gehabt. Auch meine Ansichten dazu sind im Lauf meines Lebens nicht die gleichen geblieben. Doch geblieben ist die Überzeugung, dass es notwendig ist, zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, wenn es überhaupt eine Chance geben soll, Ähnliches in Zukunft zu verhindern. Mein ganzes Leben habe ich versucht zu verstehen, was das Handeln der Menschen bestimmt. Was das Handeln von einzelnen Menschen bestimmt, und was das Handeln von Gruppen, von Schichten, Klassen, Nationen und Staaten bestimmt. Ich will nicht nur verstehen, was den Menschen, die Widerstand gegen das Naziregime leisteten, den Mut und die Zuversicht gab. Ich will auch verstehen, was die Menschen bewegte, die wegschauten, als man meine Großeltern aus ihrer Wohnung vertrieb, als man ihre Namen in Sara und Israel änderte, als man sie zusammen mit anderen Juden und Jüdinnen in eine Sammelwohnung pferchte, als man sie schließlich zum Bahnhof brachte und abtransportierte. Ich will auch verstehen, was die Mörder meiner Großeltern bewegte. Und ich will vor allem verstehen, welche Umstände zusammenspielen müssen, damit solche Menschen an Machtpositionen kommen können. Verstehen heißt nicht entschuldigen. Das Verhalten eines Menschen erklären zu können heißt nicht, ihn von seiner Verantwortung für sein Verhalten loszusprechen. Denn Menschen haben die Fähigkeit, ihr eigenes Verhalten zu bedenken, ihre eigenen Motive zu erkennen und sich zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu entscheiden.

Der Spruch „Niemals vergessen!“ prägt sich leicht ein. Für mich bedeutet er jedoch nicht den Wunsch, ewig anzuklagen. Und er bedeutet auch nicht die Verpflichtung für spätere Generationen, sich ewig schuldig zu fühlen. „Niemals vergessen“ bedeutet für mich, niemals aufzuhören, nach den Ursachen zu forschen und niemals aufzuhören, wachsam zu sein.

Auch von der Seite meiner Mutter bin ich geprägt. Meine Mutter war früh verwaist und wurden von zwei unverheirateten und kinderlosen Schwestern ihres verstorbenen Vaters aufgenommen. Diese beiden Frauen, Straßenbahnerinnen, waren ebenso wie ihr jüngerer Bruder aktiv im antifaschistischen Widerstand tätig. Als einzige ihres Wahlsprengels waren sie mutig genug, bei der nachträglichen Volksabstimmung über den Anschluss den Stimmzettel in die Wahlzelle mitzunehmen und dort „Nein“ anzukreuzen. Sie sammelten Geld für Verfolgte, in ihrer Zimmer-Küche-Wohnung trafen sich Widerstandskämpfer und -kämpferinnen.

Ich widme diesen Beitrag meinen Großeltern Robert und Erna Auer und meinen Großtanten Hilda und Hedwig Sokopp.